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Beschreibung Kirche
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Kaplaene

Die alte St. Clemenskirche in Paffrath.[1]

Von Pfarrer Dr. Heinrich Weinand

Die alte Pfarrkirche in Paffrath hat im Laufe des Sommers 1927 eine grundlegende Neugestaltung erfahren. Neugestaltung nicht Umgestaltung. Es wurde nichts hinzugefügt und nichts geändert; im Gegenteil, es wurden nur die Veränderungen hinweggenommen, welche das Innenbild von 1150 verunstaltet hatten. Da sich nämlich die Kirche im Laufe der Jahrhunderte als klein erwies für die große Pfarrei, die sich ehemals noch von Dürscheid nach Dünnwald hinein erstreckte, baute man etwa in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts eine Empore, die sich fast über die Hälfte des Mittelschiffes hinzog. Dadurch wurde nun zwar ein Mehr an Raum geschaffen, aber die Schönheit des Innenraumes der alten Kirche fast völlig zerstört. Zunächst verschwanden die zwei Halbbogen über dem ersten Säulenpaar, das Mittelschiff wurde dunkel; der Blick auf den großen Kruzifixus, der bis dahin die ganze Kirche beherrscht hatte, ging für den größten Teil Gläubigen verloren; vor allem aber wurde die Einheitlichkeit des Raumes zerstört; abgesehen davon, daß die barocken Verzierungen an der neu eingebauten Empore -künstlerisch übrigens wertlos -eine schrille Dissonanz in das reine Romanisch der Kirche hineintrugen. All diese Verunstaltungen sind jetzt behoben, und die Kirche strahlt wieder in jener strengen Reinheit in der sie -abgesehen von der Decke, die ursprünglich flach und aus Holz gewesen ist - etwa um 1150 die Gläubigen begrüßte, als sie sich zum ersten Male hier einfanden, um in dem neuen Gotteshause dem hl. Opfer beizuwohnen. Denn die jetzige alte Kirche war für die damalige Zeit die neue Kirche. Sie ist an Stelle einer noch älteren Kirche getreten, die wahrscheinlich aus der karolingischen Zeit stammte. Von dieser ältesten Kirche ist noch der Turm vorhanden und vielleicht noch die außen an der Nordseite des Turmes eingemauerte Sandsteinmaske.

Dreierlei ist es, was die Schönheit der nun wiedererstandenen Kirche ausmacht: Die Klarheit des Raumes, die Reinheit des Stiles und der Reichtum der künstlerischen Motive. Was denjenigen, der heute in die alte Kirche tritt, zuerst wohltuend berührt, ist der Raum an sich. Von der Straße aus gelangt man zuerst in die 1908 mehr oder weniger glücklich angebaute neue Kirche. Ein großer Raum, für die seelsorglichen Bedürfnisse zweifellos sehr brauchbar. Aber ein Raum ? Der Blick gleitet zuerst zum Hauptaltar und dann sieht man rechts, wo nochmals ein Raum sich anschließt, das rechte Seitenschiff das heißt: eigentlich werden dort durch die drei gewaltigen Bogen noch drei Räume geschaffen und unter der Orgeltribüne ist noch ein weiterer Raum, der ebenso wenig wie jenes Seitenschiff sich mit dem Hauptschiff zwanglos und selbstverständlich zu einer Einheit zusammenschließt; wobei die sehr unglückliche Malerei oder besser gesagt: Anstreicherei noch das Ihrige tut, diesen Mangel recht kräftig hervorzuheben. Wie ganz anders mutet es einen an, wenn man dann die alte Kirche betritt: Mit einem einzigen Blick umfaßt man den ganzen Raum. Das Nebenschiff ist wirklich eine Begleiterscheinung des Hauptschiffes; will nichts Selbständiges sein, hebt sogar noch die Wirkung des Hauptraumes. Ja sogar der Raum unter dem alten Turm ist so glücklich mit dem Langschiff zusammen komponiert, daß er wie ein Atrium, wie ein antiker Vor-Raum, vorbereitender Raum wirkt; ein Gedanke, der noch dadurch besonders unterstrichen wird, daß sich dort heute die Taufkapelle befindet, der Raum für die, welche erst in die Kirche aufgenommen werden. Hier, im alten Turme stehend, umfaßt man mit einem Blick den Gesamtraum; das Mittelschiff vom Turm bis zur Apsis, vom Fußboden bis zur Decke, einschließlich des Seitenschiffes. Es kommt keine Frage: wo? warum? weshalb? Alles ist notwendig, in sich begründet, ist klar: Der Blick ruht.

Zu dieser Klarheit des Raumes kommt eine seltene Reinheit des Stiles. Man muß sich zunächst klar machen, daß die Horizontallinie den Wesensakzent des Romanischen ausmacht, im Gegensatz zum Gotischen, daß durch die Vertikallinie bedingt wird. Beim Gotischen wirkt die Linie, beim Romanischen die Fläche. Das Gotische ist leicht elegant, sich erhebend, das Romanische schwer, wuchtig, lastend. Im Gotischen herrscht der Spitzbogen, im Romanischen der Rundbogen. Es ist schwer bei uns hier am Rhein, ganz reine romanische Kirchen nachzuweisen. Wieviel gotisches Empfinden herrscht selbst in dem Buchstaben nach romanischen Meisterwerken von St. Gereon, St. Aposteln und Groß St. Martin in Köln? Wie wird hier der Blick überall vertikal, nach oben hin orientiert! Wie wird hier schon die Fläche durch die Funktion der durchlaufenden Säulenrippen aufgehoben! Hier in der Paffrather alten Kirche aber herrscht ein Romanisch ohne den leisesten gotischen Anklang. Ungemein wuchtig und schwer beginnt der Raum unter dem Turm, der in jenen Zeiten vor 1000 Jahren wohl auch zu Verteidigungszwecken wohl auch besonders massiv gebaut wurde. An ihn schließen sich Wände des Hauptschiffes an, nicht ein einziges Mal durchschnitten. Selbst die Durchbrechungen der Fenster unter der Decke vermögen nicht ihnen das Flächenhafte zu nehmen. Zwar sind 4 Säulen vorhanden, aber durch die zwei massiven Pfeiler mit ihren breiten Flächen völlig übertönt. Und wie ist der ganze Raum eine einzige Symphonie von Halbbogen! Wir stehen im Turmraum, der sich zu der Kirche in ein in seiner Größe auf die Breite des Mittelschiffes gestimmten öffnet. Dieses Rundbogenmotiv setzt sich dann auf den beiden Wänden zunächst in den beiden großen Rundbogen fort, die ihrerseits wiederum durch zwei kleinere Rundbogen getragen werden. In Kapitell und Sockel der die kleinen Rundbogen tragenden Säulen klingt dann das Rundbogenmotiv aus. Und wie rein sind die einzelnen Bogen in ihrer Größe aufeinander abgestimmt, von dem großen, die beiden kleineren überspannenden Halbbogen herab bis zum Halbbogen im Säulensockel! Nochmals wiederholt sich auf beiden Seiten dieser reiche Rundbogenakkord und springt dann zu dem das Chor eröffnenden Rundbogen, der von dem ergreifenden Christus (um 1500) ausgefüllt ist. Aber noch fehlt die Auslösung dieser vorwärtsdrängenden Bewegung. Sie findet sich im Halbrund der Chorapsis, wo die Linienbewegung von rechts und links zusammenläuft und - kein Ende findet. Wer aber an einem Sonnentage hier in der alten Kirche steht und ein Auge für künstlerische Feinheiten hat, wird das Rundbogenthema noch vielfach variiert finden sowohl im Chor, wo das indirekte Licht des durch den Altar verdeckten Fensters Rundbogen um Rundbogen aus Licht und Schatten, entstehen läßt, als auch an dei Mittelschiffes, wo das Rundbogenmotiv in den Rippen des Gewölbes zuckend verklingt.

Hiermit wäre nun aber auch schon das Wesentliche gesagt zu dem dritten Vorzug der Paffrather Kirche: Reichtum der künstlerischen Motive. Wie vielfältig ist das eine Thema von der Horizontale und von Rundbogen hier durchgeführt! Und zwar durchgeführt in Stein und Holz, Licht und Schatten. Aber das allein erklärt noch nicht das Geheimnis des künstlerischen Reichtums, den die einfache Kirche erweckt. In der alten Kirche sind verhältnismäßig kleine Säulen. Wie kommt es nun, daß jeder, der die alte Kirche zum ersten Male gesehen hat, später, wenn er an die alte Kirche denkt, sofort an Säulen denkt, als habe er einen Wald voll Säulen gesehen? Und daß er sich gar nicht erinnert, daß es in der neuen Kirche Säulen, gibt, daß er sogar hier an vier Säulen vorbeigehen musste, um in die alte Kirche zu kommen ? Man vergleiche einmal irgend eine der die Orgelbühne tragenden Säulen von 1908 mit einer beliebigen von 1150. Die neuen Säulen sind sehr korrekt abgemessen, eine ganz genau so groß wie die andere, es ist, als wären sie in einer Fabrik bestellt und nicht von der lebendigen Menschenhand gehauen. Eine wie die andere. Zwölf machen ein Dutzend. Mehr ist darüber nicht zu sagen. Nun aber betrachte man die fast 800 Jahre alten Säulen. Da ist keine einzige wie die andere. Sie differieren in Größe (bis zu 8 cm) in den Kapitellen, ja sogar in der Haltung. Jede von ihnen ist eine Individualität, eine Persönlichkeit. Sie leben. Selbst die zwei viereckigen Pfeiler wollen sich nicht gleich sein. Wie verschieden sind ihre bunt gesprenkelten Gewänder aus gelblich-braunem Tuff, blau-grauem Quarzit und rotem Sandstein. Wie diese Säulen und Pfeiler leben! Bei jedem Schritt vorwärts in der Kirche gewähren sie einen anderen Anblick und hinterlassen damit den Eindruck des Vielen, den Eindruck des Reichen. Ich kann sogar verraten, daß die großen Rundbogen über den Säulen nur alle gleich zu sein -scheinen. In Wirklichkeit gibt es hier Differenzen bis zu 10 cm in der Höhe.

Klarheit des Raumes, Reinheit des Stiles und Reichtum der Motive sind es, welche der alten Kirche in Paffrath die hohe künstlerische Weihe geben. Diesen drei Eigenschaften dankt dieses steinerne Gebäude seine Seele, seine Geistigkeit. Ja, es ist beseelter Raum und vergeistigte Materie, es ist sublimierteste Natur, in Wahrheit wert, durch die Weihe eines Bischofs in das Reich der Übernatur erhoben und dem dreieinigen Schöpfergeiste geweiht zu werden.


[1] aus: 1200 Jahrfeier Paffrath; 800 Jahre Pfarrgemeinde St. Clemens, September 1953; Herausgeber: Kirchengemeinde St. Clemens, Paffrath